Winfried Nachtwei, MdB, Bündnis 90/Die Grünen

Bremer Str. 54

 48155 Münster 

TEL 0251 66 22 80

FAX 0251 66 22 96

Email: news@nachtwei.de


April 2003

Bundeswehrreform für umfassende und gemeinsame Sicherheit

Eine umfassende gesellschaftliche Verständigung über Rolle, Leistungsfähigkeit und Grenzen von Militär in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik nach Ende des Ost-West-Konflikts fand kaum statt. Deutsche Sicherheitspolitik entwickelte sich vornehmlich durch Fall-zu-Fall-Entscheidungen, nach dem 11. September mit einem regelrechten Quantensprung und einer mehrfachen Entgrenzung.

Bedeutsame Anregungen zur Bundeswehrreform und zur Friedensethik brachten der Bericht der Weizsäcker-Kommission, der aber vom damaligen Minister ausmanövriert wurde; sowie das Friedenswort der katholischen Bischöfe und die EKD-Denkschrift. Das Konzept der Grünen zur Bundeswehrreform fand einige gute Resonanz.

Soweit die Bundeswehrreform in der Öffentlichkeit und im Bundestag Thema war, dominierten die Sekundärfragen des WIE: Modernisierung, Haushaltsfragen, Wehrform. Die Primärfragen des WOFÜR und WOGEGEN wurden regelmäßig vernachlässigt.

Diese grundlegenden Defizite der laufenden Bundeswehrreform sollen mit den „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ überwunden werden, die diejenigen von 1992 ablösen und die der Verteidigungsminister in Kürze mit Zustimmung des Kabinetts erlassen will. Die VPR sind das zentrale Grundlagendokument für die Weiterentwicklung der Bundeswehr und ihre Stellung in der deutschen Außenpolitik.

Mit den folgenden Überlegungen versuche ich, die künftigen Aufgaben der Bundeswehr und ihrer europa-orientierten Fähigkeiten zu bestimmen und damit einen Beitrag zur sicherheitspolitischen Debatte in Politik u n d Gesellschaft zu leisten. Der transatlantische Konflikt um eine angemessene Politik gegenüber dem Irak hat das Bewusstsein der für deutsche Außen- und Sicherheitspolitik maßgeblichen Werte und Interessen verstärkt.

Grundsätzlich zu Krieg, Militär und Gewaltfreiheit

„Das allgemeine Gewaltverbot, das in der VN-Charta festgeschrieben wurde, stellt eine große zivilisatorische Errungenschaft und einen bedeutenden völkerrechtlichen Fortschritt dar. (...) Anwendung militärischer Gewalt bedeutet Töten und Verstümmeln von Menschen, hat Zerstörungen und Verfeindungen zur Folge.“ (Grünes Grundsatzprogramm von 2002)

Ausnahmen vom internationalen Gewaltverbot gibt es nur im Fall der nationalen bzw. kollektiven Selbstverteidigung und zur Wahrung bzw. Wiederherstellung der internationalen Sicherheit und des Weltfriedens nach Autorisierung durch den VN-Sicherheitsrat. Völkermord und Massenvertreibungen kristallisieren sich als weitere Ausnahmetatbestände vom internationalen Gewaltverbot hinaus.

Gewaltfreiheit bleibt auch in Regierungsverantwortung für Grüne ein Grundwert, ist aber in Verantwortung für die Gesellschaft und das staatliche Gewaltmonopol anders zu buchstabieren: Unter dem Ziel der Gewaltfreiheit gilt es, vor Gewalt zu schützen, Gewalt zu verhüten und Gegengewalt nur als schärfstes Mittel in rechtsstaatlichen Grenzen anzuwenden.

Im Rahmen des VN-Systems und kollektiver Sicherheitssysteme löste sich die frühere Identität von Militär- und Kriegseinsätzen auf, entwickelte sich eine ganze Spannweite von Militäreinsätzen – von der Katastrophenhilfe über die Mitwirkung bei Rüstungskontrolle und Abrüstung sowie Dialog und Kooperation bis zu Einsätzen zur Friedenssicherung und Zwangsmaßnahmen gegenüber Bedrohungen der internationalen Sicherheit und des Weltfriedens. Solche multinationalen und begrenzten Militäreinsätze haben einen zunehmend polizeilichen und gewalteindämmenden Charakter. Sie unterscheiden sich grundlegend von den Schlachten des Zweiten Weltkrieges oder imperialistischen Eroberungsfeldzügen. Aber auch in diesem Zusammenhang bleiben Einsätze kriegerischer Militärgewalt ein vielleicht gerechtfertigtes, nichts desto weniger großes Übel.

Daneben existiert und zerstört weiter das Kriegs-Militär als Instrument von machtpolitischen und Raubinteressen.

Prinzipien und Interessen deutscher Sicherheitspolitik

Jahrzehntelang war die Bundesrepublik außenpolitisch „geborgen“ in der transatlantischen Gemeinschaft. Das ist vorbei. Zunächst bewegte sich die US-Administration weg von der Partnerschaft, dann bewies die Bundesregierung im Kontext der Irak-Krise Mündigkeit wie nie zuvor gegenüber dem größten Verbündeten. Wo Bündnissolidarität kein Selbstzweck ist, wo Werte und Interessen auseinanderdriften, da wird die stereotype Beschwörung der transatlantischen Wertegemeinschaft hörbar hohl. Ein eigener Kompass ist nötig.

Die im Grundgesetz, in der VN-Charta, in den Völker- und Menschenrechten festgelegten Werte bleiben allgemein verbindlich und handlungsleitend. Das ist eigentlich selbstverständlich. Es muss aber ausdrücklich betont werden in einer Zeit der beschleunigter Verwilderung der internationalen Sitten mit dem Irak-Krieg. Die jüngste Sitzung der VN-Menschenrechts-kommission, bei der schwere Menschenrechtsverletzungen im Sudan, in Zimbabwe, Iran, Russland, China, Kuba kein Thema waren, ist dafür ein schlimmes Beispiel.

Interessen sind nichts unanständiges, sondern selbstverständlich in einer pluralistischen und Weltgesellschaft. Entscheidend ist ihre Definition und die Art der Interessenwahrnehmung. Im Gegensatz zu verbreiteten kurzsichtigen und partikularistischen Interessen und ausgehend von einem erweiterten Sicherheitsbegriff treten Grüne ein für ein Verständnis von vorausschauenden Interessen und eines friedlichen Ausgleichs konkurrierender legitimer Interessen. Maßgebliche Werte und Interessen sind:

-         Wahrung und Stärkung der Menschenrechte, Wahrung und Weiterentwicklung des  Völkerrechts statt seiner Zersetzung

-         Krieg war und ist eine Geißel der Menschheit zum Nutzen weniger. Kriegsverhütung und Gewaltprävention, die Überwindung der Institution des Krieges, Schutz vor Gewalt und Friedensförderung sind ein elementares nationales und internationales Interesse. Präventivkriegsdoktrinen sind damit unvereinbar.

-         Wahrung der materiellen und natürlichen Lebensgrundlagen der eigenen Bevölkerung in einer komplexen, verwundbaren Gesellschaft inmitten einer interdependenten, globalisierten Welt

-         Prosperierende, friedliche und stabile Verhältnisse in Europa, aber auch weltweit im weitsichtigen Eigeninteresse (Eine Welt)

-         Multipolare und kooperative Weltordnung, Stärkung ihrer Institutionen, Verrechtlichung der internationalen Beziehungen und vertragsgestützte Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung  

-         Mulilaterale Einbindung und angemessene Mitwirkung Deutschlands in transatlantischer Partnerschaft, europäischer Integration und Staatengemeinschaft insgesamt (VN, OSZE etc.) auf der Grundlage gemeinsamer Werte und Interessen bzw. des friedlichen Interessenausgleichs

-         Ausweitung des europäischen und transatlantischen Stabilitätsraumes, insbesondere beschleunigte Weiterentwicklung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und Aufbau der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion.

Wenn die CDU/CSU-Führung den „Präventivkrieg“ der USA gegen den Irak mittrug, wenn sie in ihren sicherheitspolitischen Erklärungen eine große Nähe zur US-Doktrin offenbart, dann zeigt sich darin ein fundamentaler Werteverlust und eine Abkehr von dem, was bisher als sicherheitspolitischer Konsens in der Bundesrepublik galt.

 

Der demokratische Rechtsstaat der Bundesrepublik trägt eine dreifache sicherheitspolitische Grundverantwortung: Schutz der eigenen Bevölkerung und der staatlichen Handlungsfreiheit gegenüber illegitimer Gewalt; Schutz der offenen Gesellschaft; Unterstützung der internationalen Sicherheit und des Weltfriedens als Mitglied der VN und anderen Systemen kollektiver Sicherheit.

Wirksame Sicherheitspolitik beinhaltet die Dimensionen:

-         Umfassende Sicherheit vor Unfreiheit, Not, Gewalt („Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung“) statt eindimensionaler bloßer militärischer Sicherheitspolitik

-         Vorausschauende und vorbeugende Sicherheit statt bloß reaktiver und repressiver Sicherheitspolitik. Hierzu gehört zuerst die Vermeidung eigener kontraproduktiver Akte.

-         Gemeinsame und kooperative Sicherheit statt konfrontativer, hegemonialer Sicherheitspolitik und nationaler Alleingänge.

Chancen, Risiken und Bedrohungen

Sicherheits- und friedenspolitische Chancen liegen vor allem in den vielfältigen Formen von Integration, Multilateralismus, der Verbreitung rechtsstaatlicher Demokratien und der Globalisierung der Menschenrechte. Die deutsch-französische Aussöhnung, die europäische Integration und Erweiterung, die gewaltfreie Überwindung des Ost-West-Konfliktes, das System der Vereinten Nationen, multinationale zivil-polizeilich-militärische Friedenseinsätze, globale Solidarität von Zivilgesellschaften sind hervorragende Beispiele für historisch einmalige Friedenschancen. In der Irak-Krise artikulierte sich in nie da gewesener Weise eine Weltöffentlichkeit gegen einen drohenden Krieg.

Eine umfassende und existentielle Bedrohung des Territoriums der Bundesrepublik bzw. des Bündnisgebiets durch eine raumgreifende Aggression, das Risiko des „großen Verteidigungsfalls“ ist auf mittlere Frist auszuschließen. Die Bundeswehr als Massenarmee zur Abwehr von konventionellen Angriffen auf das Bundesgebiet gehört der Vergangenheit an. Unwahrscheinlich, aber möglich sind begrenzte Bedrohungen des Bündnisgebietes.

Regionale Konflikte können erhebliche direkte und indirekte Auswirkungen auf die internationale, europäische und deutsche Sicherheit haben. Der israelisch-palästinensische Konflikt, die Konflikte auf dem Balkan, im Kaukasus, Zentralasien etc. bergen ein enormes Gewaltpotential und haben weitreichende destruktive Auswirkungen.

Zwischenstaatliche Konflikte sind insgesamt zurückgegangen, beinhalten aber immer noch maximale Eskalationsrisiken: Die Konflikte zwischen Indien und Pakistan, um Nordkorea sowie den USA und den „Achsenmächten des Bösen“ sind dafür die bekanntesten Beispiele.

Innerstaatliche und Gesellschaftskriege machen inzwischen die große Mehrheit der Kriege weltweit aus, sie fordern meist abseits der internationalen Aufmerksamkeit bei weitem die meisten Opfer. Für sie treffen oft die Merkmale der „Neuen Kriege“ zu, wo privatisierte Gewalt in den ordnungslosen Räumen schwacher Staaten wütet. Ihre Akteure sind neben staatlichen Akteuren Söldner, private Sicherheitsdienste, Rebellen, Milizen, Banden, Terroristen, Warlords, Gewaltunternehmer, verflochten mit internationaler organisierter Kriminalität. Wo Krieg politische Ziele verliert und primär zum Geschäft wird, wuchern spezifische Gewalt- und Kriegsökonomien mit Diamanten, Coltan, Drogen, Menschen, Waffen und Raubgut aus der Humanitären Hilfe als bevorzugten Gütern. Wo der Krieg den Krieg ernährt, gibt es kein Interesse an Frieden, sondern nur nicht endende Kriege. Kleinwaffen, Massen an rekrutierbaren Kindern und Jugendlichen machen das Kriegführen billig. Hauptopfer einer asymmetrischen, nicht zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten unterscheidenden Kriegführung ist die Zivilbevölkerung.

Die Ausweitung von Aids führt zu einer rapiden Auszehrung von Sicherheitskräften und schafft Banden und Milizen zusätzlichen Spielraum. Die Armeen des Südlichen Afrika sind zu 50-60% infiziert, im Kongo starben mehr Soldaten an Aids als an direkten Kriegsfolgen.

Internationaler Terrorismus ist unübersehbar zu einer Hauptbedrohung internationaler Sicherheit geworden. Im Unterschied zu Formen eines regionalen Terrorismus ist für internationalen Terrorismus eine mehrfache Entgrenzung kennzeichnend: in der Zielsetzung des maximalen Schadens und Schreckens, wo auch das bisher Undenkbare möglich wird, in der asym-metrischen Kampfführung, Ausdauer und totalen Opferbereitschaft; in der Entterritorialisierung transnationaler und lose verkoppelter Netzwerkstrukturen; im Nebeneinander von unsichtbaren Tätern bis Schläfern und inszenierter globaler Sichtbarkeit der Taten.

Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und Trägersystemen sind die besonders gefährliche Spitze des Eisbergs weltweiter Aufrüstung, deren Masse auf dem Feld der Kleinwaffen stattfindet und die durch ungehemmte Rüstungsexporte befördert wird. Ein sicherheitspolitischer Super-GAU wäre, wenn Terrornetzwerke in den Besitz von Massenvernichtungsmitteln kämen. Neben „Problemstaaten“, die teilweise eher zum Selbstschutz nach MVW streben, sind die Altlasten des Kalten Krieges in Russland ein besonderer Risikofaktor. 20.000 demontierte taktische Atomsprengköpfe sind oft nur spärlich bewacht. Dasselbe gilt für Abfallhalden für radioaktives Material aus der zivilen Nutzung, geeignet als Stoff für sog. „schmutzige Bomben“.

Cyberwar-Attacken können vernetzte Informationsgesellschaften massiv beeinträchtigen, möglicherweise sogar vitale Funktionen lahm legen.

Ethnischer, nationalistischer und religiöser Extremismus und Fundamentalismus wirken als Zündstoff und Treibsatz in Gewaltkonflikten. Ideologisierung von Politik leistet dem Vorschub. Ihr Nährboden ist die krasse Ungleichverteilung von Lebensbedingungen und massenhafte Perspektivlosigkeit in jungen Gesellschaften, Modernisierungsblockaden, die Missachtung von Minderheitenrechten vor dem Hintergrund reformunfähiger Regimes und destruktiver Globalisierungsfolgen. Unter den vielfältigen anderen Konfliktursachen werden Kämpfe um knapper werdende Ressourcen eine immer zentralere Rolle spielen. Beim Öl ist es offenkundig, beim Wasser geht es ums Überleben. Die Politik einer „Staatengemeinschaft“, die immer noch ein Vielfaches ihrer Haushaltsmittel für Armeen statt für die existentielle Grundversorgung ihrer Bürger ausgibt, ist ein eigenständiger Risikofaktor.

Eine Art Privatisierung staatlicher Gewalt von oben hat seit dem 11. September einen    enormen Schub bekommen und ist zu einem erheblichen Risikofaktor geworden. Sie manifestiert sich in der weiteren globalen Relativierung der Menschenrechte unter dem neuen Vorwand des Kampfes gegen den Terrorismus, der systematischen Deregulierung internationaler Beziehungen vor allem durch die US-Administration, der Außerkraftsetzung des internationalen Gewaltverbotes und der Brüskierung der VN durch die neokonservative Hegemonialpolitik der USA. Nachdem erst vertragsgestützte Rüstungskontrolle und Abrüstung geschwächt wurde, beschleunigt sich seit dem Irak-Krieg eine neue Aufrüstungsrunde.

Kriegsführungsfähigkeiten und –kosten driften auseinander, verstärken kriegerische „Kreativität“ auf allen Seiten und schaffen neue Unsicherheit.

Demokratische und postheroische Gesellschaften sind nur noch sehr begrenzt kriegsfühungsfähig. Das ist ein enormer zivilisatorischer Fortschritt. Sie können jenseits eines direkten Verteidigungsfalles immer weniger eigene Verluste ertragen, aber auch nur begrenzt sichtbare, vor allem zivile Opfer der anderen Seite. Die mediale Schlacht der Kriegsbilder ist längst zu einer kriegsentscheidenden strategischen Ebene geworden.

Die militärische Konsequenz daraus ist: schnelle Kriegführung und Entscheidung, Vermeidung eigener Opfer und Reduzierung von „Begleitschäden“ auf der gegnerischen Seite, Streben nach Informationsdominanz, Luftherrschaft, absoluter militärischer Überlegenheit, Präzisions- und Distanzwaffen, Spezialtruppen – bis zur Netzwerk-Kriegführung der USA im Irak-Krieg. Nach dem früheren „Gleichgewicht des Schreckens“ steht nun Asymmetrie aus Stärke im Vordergrund. Hierdurch wird sowieso schon kostspielige moderne Kriegführung extrem verteuert.

In vor- und undemokratischen Gesellschaften gibt es ganz andere Kriegsführungsfähigkeiten:

Die Fähigkeit, Verluste zu ertragen, ist hoch: angesichts der gesellschaftlichen „Wertlosigkeit“ von Menschenleben (Stalinismus, Nazismus), angesichts fundamentalistischer und heroischer Wertesysteme, wo Selbstaufopferung das Höchste ist. Die menschlichen und materiellen Mittel der Kriegführung sind billig, menschenrechtliche Rücksichtslosigkeit verschafft kriegerische Flexibilität und Unberechenbarkeit. Neben der Tiefe des Raumes und der Regellosigkeit steht die Tiefe der Zeit zur Verfügung, der lange Atem und Marsch ohne den schnellen Erfolgsdruck der modernen Welt. Das ist Asymmetrie aus Schwäche.

Die Komplexität und Globalisierung von Unsicherheit ist zu einer eigenständigen Herausforderung geworden: Konfliktursachen können sich weiträumiger entwickeln; große Veränderungen geschehen in kurzen Zeiträumen; Risiken werden vielfältiger; die steigende Zahl an Mitwirkenden verkomplizieren die internationalen Beziehungen. Die strukturelle Überforderung von Politik wächst.

Zwischenbilanz deutscher Beiträge zur internationalen Sicherheit

Die Bundesrepublik trägt im Rahmen von VN, NATO, OSZE, EU und anderen Zusammenhängen vielfältig und zum Teil führend zur internationalen Sicherheit bei (vgl. Berichte der Bundesregierung zur Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen vom 12.6.2002, Drs. 14/9466; zur Entwicklungspolitik, Drs. 14/6496; zu ihrer Menschenrechtspolitik, Drs. 14/9323; zur Abrüstung, Drs. 14/8941). Seit ungefähr zehn Jahren wurde auch die Bundeswehr zu einem Instrument aktiver deutscher Sicherheitspolitik – zunächst gegen den massiven Widerspruch von uns Grünen, von Friedensbewegten und vieler Sozialdemokraten. Seit Regierungsantritt von Rot-Grün wuchs das Volumen der Auslandseinsätze der Bundeswehr sprunghaft an. Erstmalig beteiligte sich das demokratische Deutschland an Kriegseinsätzen.

Ausgesprochen bewährt haben sich Bundeswehraktivitäten im Aufgabenfeld Dialog und Kooperation: Durch Aus- und Fortbildung, Austauschprogramme und gemeinsame Übungen trägt die Bundeswehr unauffällig, kostengünstig, aber erheblich zur Integration der Armeen des ehemaligen Warschauer Paktes in die transatlantischen und VN-Zusammenhänge sowie rechtsstaatlichen Militärreformen bei. Besonders vertrauensbildend wirkt die Zusammenarbeit bei der Rüstungskontrolle und Abrüstung im OSZE-Raum.

Auslandseinsätze der Bundeswehr dienten bisher überwiegend der multinationalen Friedensbewahrung und - unterstützung und dem Nation Building (Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Kabul, VN-Beobachtermission Georgien). Alle laufen im Rahmen der VN-Charta. Bis auf Georgien ist die Bundeswehr an nur VN-mandatierten, nicht aber an VN-geführten Missionen beteiligt. Die friedensbewahrenden Einsätze sind „robust“ mandatiert, also zu militärischem Zwangsmaßnahmen berechtigt und entsprechend ausgestattet. Das verschaffte ihnen große Wirksamkeit bei der Eindämmung von Gewalt und erübrigte bisher jeden Kampfeinsatz. Allerdings sind alle größeren Einsätze bisher noch auf die militärischen Fähigkeiten der USA angewiesen. In extremer Weise gilt das für ISAF, die unter unfriedlichen Bedingungen nur von den US-Streitkräften evakuiert werden könnte.

Zentrales Kennzeichnen dieser Einsätze ist ihre breite und sich vertiefende Multinationalität, z.B. 36 Nationen bei KFOR (18 Nicht-NATO), 21 bei ISAF (10 Nicht-NATO), dabei immer eine große Mehrheit aus EU-Staaten.

Diese Militäreinsätze finden dort ihre Grenzen, wo es um gesellschaftliche Verständigungs- und Friedensprozesse geht. Ausschlaggebend für den Erfolg eines internationalen Friedenseinsatzes ist deshalb der multidimensionale Ansatz: Das abgestimmte und kohärente Agieren von internationalen und nationalen, von staatlichen, zwischen- und nichtstaatlichen Akteuren, von militärischen, polizeilichen und zivilen Kräften einer Friedensmission. Die Bundeswehr legt auf die zivil-militärische Zusammenarbeit und CIMIC-Projekte einen großen Wert. Ihre relativ große Offenheit gegenüber der Zivilbevölkerung wird begünstigt durch die bundeswehrspezifische Innere Führung. Zugleich ist darauf zu achten, dass die Bundeswehr nicht Aufgaben übernimmt, die angemessener von zivilen Organisationen übernommen werden könnten.

In der Bevölkerung der Einsatzländer wie unter den Partnernationen hat sich die Bundeswehr ein hohes Ansehen erworben. Nicht von ungefähr hat sie zusammen mit den Niederlanden die Führungsrolle bei ISAF in Kabul. Auf der Ebene friedensbewahrender Einsätze haben sich europäische Streitkräfte oftmals als angemessener und wirksamer erwiesen als die abgeschotteten und mehr auf Kampfeinsätze orientierten US-Streitkräfte.

Der Sinn dieser militärischen Friedenssicherung und –unterstützung ergibt sich oft eher negativ über die zu erwartenden Eskalationen bei einem Abzug als positiv durch sichtbare Fortschritte in Richtung selbsttragender Friedensprozesse. Auch wenn die Kontingente mit der Zeit erheblich reduziert und z.B. im Kosovo immer mehr Aufgaben an UNMIK und an die kosovarischen Behörden abgetreten werden können: Die Befürchtung, noch unabsehbar lange in diesen Ländern bleiben zu müssen, ist begründet und für etliche Soldaten frustrierend. Haupthindernisse eines schnelleren Rückzuges sind einheimische politische Blockaden (Bosnien), ungeklärte und unvereinbare politische Perspektiven (Kosovo), wirtschaftliche Perspektivlosigkeit und blühende, multinationale kriminelle, gewalttätige Subkulturen, sinkende Aufmerksamkeit und Unterstützungsbereitschaft der internationalen Staaten-, Spender- und NGO-Gemeinschaft angesichts neuer Krisenmagneten.

Innenpolitisch haben diese Einsätze – soweit sie überhaupt noch wahrgenommen werden – eine hohe Akzeptanz. Positionen, die wie die PDS hier einen Abzug fordern, sind marginal.

Anti-Terror-Einsätze im Rahmen von Enduring Freedom bestehen in der Masse aus Unterstützungsaufgaben: Seeraumüberwachung am Horn von Afrika und der ABC-Spürpanzer-Präsenz in Kuwait. Diesen wird von manchen Experten nachgesagt, sie hätten eher symbolische als tatsächliche Bedeutung bei der Terrorismusbekämpfung. Der einzige Beitrag zur direkten Terrorismusbekämpfung sind die maximal hundert KSK-Soldaten in Afghanistan. Auch wenn sie überwiegend mit Spezialaufklärung befasst waren, gehören sie zu den Zwangs-, also Kriegseinsätzen, die in der deutschen Öffentlichkeit jeweils massiv umstritten waren. Mit Blick auf die moralische Seite der Kriegsbeteiligung wurde oft die geringe faktische Beteiligung übersehen: die ECR-Tornados gegen Flugabwehrstellungen beim Kosovo-Krieg sowie die wenigen KSK-Soldaten in Afghanistan. Die Wirksamkeit dieser Beiträge und insgesamt des Kosovo-Luftkrieges, des Krieges gegen Al Qaida und Taliban, ihre menschlichen und materiellen Kosten und Wirkungen sind bisher nicht umfassend ausgewertet. Der Kosovo-Luftkrieg war der erste Krieg ohne eigene Opfer.

Zugleich wurde in diesen Kriegseinsätzen die wachsende militärtechnologische Kluft zwischen den USA und allen ihren Verbündeten überdeutlich, insbesondere in den Kernbereichen moderner Kriegführung, der Integration von Kommando, Kontrolle, Kommunikation, Aufklärung etc., des Zusammenwirkens der beteiligten Kräfte (Interoperabilität/Jointness), der Luftmacht und des Umfanges von Spezialkräften. (vgl. Norbert Eitelhuber: Europäische Streitkräfte unter dem Zwang der Bescheidung, swp-Studie Berlin März 2003)

Dieser Trend setzte sich beim Irak-Krieg fort. Die Streitkräfte der europäischen Verbündeten sind in einem komplexen „high-intensity conflict“, also einem Kriegseinsatz auf die maßgebliche Rolle der USA angewiesen. In Schlüsselbereichen besteht nicht einmal Interoperabilität. Auf der anderen Seite sind die westeuropäischen Streitkräfte mit ihren 1,5 Mio. Soldaten allen anderen Streitkräften in ihren militärischen Fähigkeiten weit überlegen.

Die Kosten auch friedensbewahrender Auslandseinsätze sind enorm, weil sie hochtechnisiert sind und jeweils mit dem Aufbau einer völlig autarken Infrastruktur und Logistik einhergehen. Für die Bundeswehreinsätze wurden in 2002 insgesamt 1,502 Mrd. € ausgegeben, davon für die Balkaneinsätze 880 Mio., für Enduring Freedom 316 Mio. und für ISAF 306 Mio. €.

Bei Bundeswehreinsätzen gab es bisher einen Toten durch gegnerische Einwirkung (ein Oberstabsarzt in Georgien). Für entsandtes Zivilpersonal ist bisher das Risiko höher, in Krisenregionen zu Schaden zu kommen.

Insgesamt zeigen alle Militäreinsätze deutlich, wie kostspielig, mühsam und langwierig militärgestützte Anstrengungen zur Friedensbewahrung oder gar Friedenswiederherstellung in fortgeschrittenen Konfliktstadien sind. High-Tech-Armeen können inzwischen relativ schnell einen Krieg gewinnen. Aber den Frieden zu gewinnen, fällt ungleich schwerer. Angesichts der Fülle und Komplexität der Konflikte und der Begrenztheit von Ressourcen erweist sich jede Vorstellung von schneller Krisenbewältigung und Konfliktlösung von außen als illusionär. Umso mehr ist deshalb strukturelle, frühe und zivile Krisenprävention gefragt. Deren Fähigkeiten hinken, weil lange politisch vernachlässigt, in Bezug auf Ausstattung, Professionalisierung, Einsatzbereitschaft, Kohärenz den militärischen Fähigkeiten weit hinterher. Umso wichtiger sind die Anstrengungen von rot-grüner Bundesregierung und EU beim Aufbau einer Infrastruktur Krisenprävention und Zivile Konfliktbearbeitung, die erste Erfolge aufzuweisen hat.

Anforderungen und Auftrag

Das Grundgesetz verpflichtet den Bund zur Aufstellung von Streitkräften zur Verteidigung

und ermächtigt ihn, sich „zur Wahrung des Friedens einem System kollektiver Sicherheit“  einzuordnen (Art. 87a und 24 Grundgesetz).

Die Landesverteidigung ist völlig in der Bündnisverteidigung aufgegangen. Da ein großer Verteidigungsfall mittelfristig ausgeschlossen werden kann, sind die dafür vorgehaltenen Kräfte und Aufwuchspotenziale erheblich zu reduzieren.

Vermehrt seit dem 11. September hat das herkömmliche Verständnis von Verteidigung eine enorme Entgrenzung erfahren. Der VN-Sicherheitsrat gab mit den einschlägigen Resolutionen, die das Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung bekräftigten, eine Art von Einstiegslegitimation für die militärische Bekämpfung des Terrorismus. Immer deutlicher stellt sich aber die Frage, wo die Grenzen dieses Selbstverteidigungsrechtes sind. Wenn die US-Regierung inzwischen das Recht für sich in Anspruch nimmt, mit „Präventionssangriffen“ zu jeder Zeit und an jedem Ort gegen terroristische Bedrohungen vorzugehen, dann wird damit das allgemeine Gewaltverbot der VN-Charta unterhöhlt und seine Beachtung in das Belieben der Stärksten gestellt.

Dieses schlimme „Vorbild“ beweist die Tücken eines erweiterten Verteidigungsbegriffes, der immer ein Selbstverteidigungsrecht impliziert und schnell zu einer Vorwärtsverteidigung in Raum und Zeit expandiert. Eine Aussage, Deutschland werde am Hindukusch verteidigt, ist deshalb auch gefährlich doppeldeutig.

Mit ihren spezifischen Fähigkeiten trägt die Bundeswehr zur Rettung und Evakuierung bedrohter Staatsbürger sowie zur humanitären und Katastrophenhilfe bei.

Im Rahmen von Dialog, Kooperation, Rüstungskontrolle und Abrüstungszusammenarbeit leistet sie sehr wirksame, dabei kostengünstige Beiträge zur Vertrauensbildung zwischen den Staaten und zur Integration und Stabilität von Transformationsstaaten bei.

In Afghanistan und auf dem Balkan tut die Bundeswehr das, was ihr Kernauftrag auch in Zukunft sein wird: im Rahmen kollektiver Sicherheitssysteme und der VN-Charta ihren spezifischen Beitrag zur multilateralen Krisenbewältigung, zur Verhütung und Eindämmung von Kriegen und Gewalt, zur Bewahrung und Wiederherstellung des Friedens zu leisten.

Peacekeeping-Einsätze sind auch präventiv möglich: um wie z.B. in Mazedonien einer Gewalteskalation vorzubeugen.

Damit ist sie Teil einer Politik, die beansprucht, auf umfassende, vorbeugende und gemeinsame Sicherheit und gerechten Frieden zu zielen, wo einerseits Abwehr von Gefahren, andererseits die politische Bekämpfung ihrer Ursachen und Reduzierung strategischer Verwundbarkeiten zusammengehören. Nur im ressortübergreifenden Zusammenwirken der verschiedenen sicherheitspolitischen Instrumente kann den o.g. Risiken und insbesondere asymmetrischen und terroristischen Bedrohungen wirksam begegnet werden.

Bloß militärisch orientierte Sicherheitspolitik, Krisenbewältigung und Terrorismusbekämpfung ist von vorneherein zum Scheitern verurteilt.

Vorrang hat Krisenbewältigung in Konflikten, die die europäische Sicherheit besonders betreffen, wo Menschenrechte massiv verletzt werden und die VN besonderer Unterstützung bedürfen.

Der Schwerpunkt der Kriseneinsätze sollte bei der Friedensbewahrung, Friedensunterstützung und der Stabilisierung ordnungsloser Räume sein. Hier liegen die zentralen sicherheitspolitischen Herausforderungen, hier gibt es am ehesten Erfolgschancen, hierzu können die Bundesrepublik und ihre europäischen Partner am besten beitragen. Wo strategische Aufgabe die (Wieder-)Herstellung bzw. Stärkung rechtsstaatlicher Legitimität, die Austrocknung von Kriegsökonomien und die öffentliche Kontrolle organisierter Gewalt ist, da geht es nur mit multidimensionalen Friedenseinsätzen im ausgewogenen Verbund ziviler, polizeilicher und militärischer Kräfte.

Direkte Terrorismusbekämpfung bleibt primär eine polizeiliche und nachrichtendienstliche Aufgabe in internationaler Zusammenarbeit sowie des strategischen Kampfes um Köpfe und Herzen. Gegenüber sich in Gesellschaften verbergenden und hochbeweglichen Gegnern kann Militär nur eine sehr nachgeordnete Rolle spielen. Wo Militär zum Hauptträger des Antiterrorkampfes wird, treibt es meist dem Terrorismus mehr Anhänger zu, als dass es ihn austrocknet. Völkerrechtliche Legalität, Autorität und Begrenzung erfährt militärische Bekämpfung des internationalen Terrorismus nur, wenn sie Teil globaler Ordnungspolitik und Aufgabe von Systemen kollektiver Sicherheit ist.

Terroristische Bedrohungen durchdringen die Grenzen von äußerer und innerer Sicherheit. Nichts desto weniger bleibt die institutionelle Abgrenzung und Arbeitsteilung zwischen Organen der äußeren und inneren Sicherheiten aus Gründen rechtsstaatlicher Gewaltenteilung und unterschiedlicher Fähigkeiten unverzichtbar. Im Rahmen der grundgesetzlichen Bestimmungen zum Streitkräfteeinsatz im Innern reichen gesetzliche Klarstellungen zur Unterstützung der Gefahrenabwehr in solchen Fällen aus, wo in der Luft oder auf See die polizeilichen Kräfte qualitativ überfordert sind (Luftpolizeigesetz). Eine Ausweitung der Streitkräftebefugnisse im Innern, wie von der Union gefordert, ist strikt abzulehnen. Die geforderte neue „Heimatverteidigung“ macht gegenüber neuen asymmetrischen Bedrohungen keinen erkennbaren Sinn und soll offenkundig nur der Wehrpflicht eine neue Rest-Legitimation verschaffen.

Als Mitglied der VN, NATO und EU muss die Bundeswehr fähig und bereit sein, angemessene Beiträge zur Bündnisverteidigung und zur „Friedenserzwingung“ im Rahmen der VN-Charta, also auch zu Einsätzen kriegerischer Militärgewalt zu leisten. Diese bleiben nichts desto weniger ein besonders kostspieliges, riskantes und tückisches Mittel und großes Übel. Sie dürfen nur allerletztes, nie normales Mittel von Politik sein.

Fähigkeiten und Strukturen im europäischen Kontext

Die Globalisierung von Unsicherheit, der Unilateralismus der gegenwärtigen US-Administration und ihre Art des Umganges mit Krieg und VN sowie die fortschreitende europäische Integration verpflichten die EU zu mehr Eigenverantwortung für die europäische und Mitverantwortung für die globale Sicherheit. Vor diesem Hintergrund ist das Festhalten an nationalen Armeen immer mehr ein ineffektiver Anachronismus. Die nationalen Armeen sollten längerfristig durch eine europäische Armee abgelöst werden. Ihre wirksame Kontrolle und Finanzierung durch das Europäischen Parlament ist eine notwendige Voraussetzung.

Die Europäische Union muss fähig werden, regional begrenzt Kriege zu verhindern, im Rahmen von Bündnis und VN-Charta mit den USA partiell zusammenzuwirken und die VN zu unterstützen. Dabei geht es weder darum, die USA über ein unsinniges und ruinöses transatlantisches Wettrüsten zu kopieren, noch darum, sich in der Art „Arbeitsteilung“ einzurichten, wo die „USA kämpfen, die VN füttern und die Europäer wiederaufbauen“. Es geht um Eigenständigkeit in der Partnerschaft. EU-Europa gibt mit 160 Mrd. € halb so viel für seine insgesamt 1,5 Mio. Soldaten aus wie die USA für ihre 1,2 Mio. Soldaten. Zugleich geben die EU-Staaten erheblich mehr für umfassende Sicherheits- und Entwicklungspolitik aus als die USA. Ihr Instrumentarium umfassender und vorbeugender Sicherheitspolitik ist beispiellos. Mazedonien ist das jüngste Beispiel erfolgreicher Kriegsverhinderung unter Federführung der EU.

Wo die gegenwärtigen strukturellen und finanziellen Rahmenbedingungen realpolitische Grenzen setzen, kommt es auf dreierlei an:

- Vorrangiger Ausbau der bisherigen Stärken der Friedenssicherung und unterhalb eines „high-intensity conflict“ und der Kernfähigkeiten für eigenständige Operationen (Aufklärung, Führung, Kommunikation, Transport); um eine Abkoppelung von den USA und die o.g. „Arbeitsteilung“ zu vermeiden, Weiterentwicklung derjenigen Fähigkeiten für „Friedenserzwingung“, wo besondere Stärken bestehen (z.B. Spezialkräfte, ABC-Schutz, Minenräumung)

- Beschleunigte Integration der europäischen Streitkräfte: Abbau von Doppelungen, Bündelung von Fähigkeiten, Spezialisierungen in Arbeitsteilungen, gemeinsame Rüstungsplanung, Entwicklung und Beschaffung, gemeinsamer Ausbildungsverbund; schnelle Eingreiffähigkeit, strategisches Lufttransportkommando, europäischer Beitrag zu VN-Friedenseinsätzen etc. Entscheidend für ein tatsächliches Zusammenwachsen ist eine integrierte Streitkräfteplanung.

- Ausbau der Fähigkeiten zur nichtmilitärischen Krisenbewältigung, insbesondere ihrer schnellen Verfügbarkeit (Polizeikräfte, Friedenspersonal und Friedensfachkräfte), sowie zur Abrüstungszusammenarbeit, Demobilisierung und Minenräumung. In diesen Kontext gehören auch verfeinerte Verfahren und Instrumente zur Eindämmung von Gewaltökonomien und zielgenauer nichtmilitärischer Sanktionen.

Die militärische und zivile Kräfteplanung muss aufeinander abgestimmt werden.

Die beschleunigte sicherheitspolitische Integration muss Hand in Hand gehen mit der zügigen Stärkung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und ihrer demokratischen Kontrolle. Eine europäische Armee in Verfügung einer Eurokratie wäre demgegenüber kein sicherheitspolitischer Gewinn, sondern ein Risiko.

Wo einerseits Doppelungen zwischen EU-Streitkräften abgebaut werden, wäre es unsinnig, neue Doppelungen zwischen EU und NATO aufzubauen. Möglichst viele Strukturen und Fähigkeiten sollten im NATO- und EU-Kontext gleichermaßen eingesetzt werden können. Die Stärkung des europäischen Pfeilers der NATO soll ihre fundamentale Rolle für die transatlantische Sicherheit nicht schmälern.

Um ihren Auftrag verantwortlich im multinationalen Kontext von EU, NATO und VN durchführen zu können, braucht die Bundeswehr präsente, professionelle und hochmotivierte, flexible und mobile, insgesamt „leichtere“ Kräfte mit hoher „Durchhaltefähigkeit“ (Personalreserven, Logistik) „Überlebensfähigkeit“ (Selbstschutz) und Wirksamkeit im Einsatz. Notwendig sind effektive Aufklärungs-, Führungs- und Verlegefähigkeiten auf große Distanz. Unverzichtbar ist eine verbesserte Interoperabilität mit den Bündnispartnern.

Die Modernisierung der Bundeswehr muss so europa-orientiert wie möglich sein. Ihre Planung muss den künftigen Fähigkeitsbedarf europäischer Sicherheitspolitik im Blick haben und die deutschen Beiträge dazu definieren. Wo es Spezialisierung und Arbeitsteilung gibt, muss die Bundeswehr nicht mehr alles können.

Die Mittelfristige Finanzplanung begrenzt den Militäretat auf 24,4 Mrd. €. Angesichts der allgemeinen Haushaltslage und des besonderen Nachholbedarfs des Außen- und Entwicklungsressorts ist das unabdingbar.

Die Scharping-Reform ging in die richtige Richtung. Ihr fehlte es allerdings an Konsequenz und Nüchternheit. Die von Minister Struck auf Basis der Koalitionsvereinbarung eingeleitete Weiterentwicklung der Bundeswehrreform bewies in ihren ersten Schritten einen nachholenden Realismus.

Eine moderne und effektivere Bundeswehr ist durch Reduzierung ihres Umfanges zu erreichen. Eine Gesamtstärke in der Größenordnung von 200.000 (Grünes Konzept) bis 220.000 (Minderheitenvotum der Weizsäcker-Kommission) Zeit- und BerufssoldatInnen reicht aus, um die im Rahmen von NATO und EU vereinbarten Beiträge sowie VN-Unterstützung leisten zu können. Die Schließung etlicher weiterer Standorte ist trotz aller politischer Widerstände notwendig. Dabei sollte der Bund zu mehr Mitverantwortung bei der Konversion als in den letzten Jahren bereit sein.

Die Vielfalt an Einsatzformen erfordert Soldaten mit breiten Fähigkeiten, insbesondere auch zur zivil-militärischen Zusammenarbeit. Das setzt eine qualitativ gute Nachwuchsgewinnung und sozialverträgliche Gestaltung von Auslandseinsätzen voraus. Wo wie zzt. 9.000 Soldaten im Auslandseinsatz sind, stehen Innere Führung und die Integration der Streitkräfte in die Gesellschaft vor erheblich veränderten Anforderungen.

Die Stärkung militärischer Fähigkeiten macht nur Sinn und läuft nicht auf eine Militarisierung der EU hinaus, wenn die Worte vom Primat der Krisenprävention und Zivilen Konfliktbearbeitung auch in die Tat umgesetzt werden: wenn der Rückstand an polizeilichen und zivilen Fähigkeiten aufgeholt und die militärischen und zivilen Kräfteplanungen aufeinander abgestimmt werden. Davon kann bisher nur in Ansätzen die Rede sein. Die nichtmilitärischen Headline Goals und das Programm zur Verhütung gewaltsamer Konflikte der EU sowie der deutsche ressortübergreifende „Aktionsplan Krisenprävention“, der sich nach Maßgabe der rot-grünen Koalitionsvereinbarung zurzeit in Arbeit befindet, sind erste Schritte in diese Richtung. Die Grunderfahrung aus Kriseneinsätzen, dass jedes Zurückbleiben nichtmilitärischer Fähigkeiten militärische Einsätze ins Endlose verlängert, hat sich immer noch zu wenig herumgesprochen. Weiterhin macht es große Probleme, zureichende und verlässliche, dabei verhältnismäßig geringe Mittel für Maßnahmen der zivilen Konfliktbearbeitung zu mobilisieren, während für militärische Maßnahmen umfangreiche Mittel selbstverständlich zu Verfügung stehen. Diese Realität läuft den proklamierten Zielen einer umfassenden und vorbeugenden Sicherheitspolitik zuwider.

Wehrform

Jeder weitere Aufschub des Ausstiegs aus der Wehrpflicht lähmt die effektive Neuausrichtung der Bundeswehr auf die künftigen Aufgaben und wird den Steuerzahler Milliarden kosten. Die Wehrpflicht ist sicherheitspolitisch nicht mehr legitimierbar, sie ist immer weniger eine allgemeine Pflicht und gerade den betroffenen jungen Männern kaum noch plausibel zu machen. Sie ist weder notwendig für eine zurückhaltende Militärpolitik noch für die gesellschaftliche Integration der Streitkräfte. Inzwischen blockiert sie zunehmend eine finanzierbare Bundeswehrreform und ist der wachsenden militärischen Integration in der EU sowie der Zusammenarbeit mit den führenden Bündnispartnern der NATO eher hinderlich. Aktuelle Veränderungen der Einberufungskriterien sind eine Erleichterung für die Wehrpflichtigen, aber zugleich weitere Schritte weg von der Allgemeinen Wehrpflicht. Mit einer weiteren Kürzung des Wehrdienstes auf sechs oder vier Monate würde für alle Beteiligten die Last größer als der Nutzen – nur um die Fiktion der Wehrpflicht zu halten. Die deutsche und europäische Sicherheitspolitik, die Bundeswehrangehörigen, aber auch die Trägerorganisationen des Zivildienstes brauchen statt fortgesetzter Halbherzigkeiten endlich die Verlässlichkeit einer konsequenten Bundeswehrreform.

Es ist ein Gebot verantwortlicher Politik, jetzt nicht wieder die Schützengräben des Wehrpflicht-Dogmas zu beziehen. Nicht das Ob, sondern das Wie des Umstieg auf eine Freiwilligenarmee, die bündniskompatibel, effektiv, friedensfördernd, demokratieverträglich und finanzierbar ist, muss endlich offen diskutiert werden. (vgl. W. Nachtwei; Ausstieg aus der Wehrpflichtsackgasse: Freiwilligenarmee gestalten, April 2003)

Einhegungen

In einer Art sicherheits- und friedenspolitischer Selbstzufriedenheit, wird oftmals verdrängt, dass die Modernisierung der Bundeswehr ein zweischneidiges Schwert ist.

Die Modernisierung schafft Interventionsfähigkeiten, die über kurz oder lang auch missbraucht werden können. Heute fühlen sich noch alle Bundestagsfraktionen, die Bundesregierung und die militärische Führung einer militärischen Zurückhaltung verpflichtet.

Aber was ist in fünf Jahren, wenn z.B. die ganze Division Spezielle Operationen einsatzfähig ist, wenn das gewachsene militärische Angebot die Nachfrage erhöhen kann?

Deshalb kommt es heute entscheidend darauf an, diese zweischneidigen Fähigkeiten politisch einzuhegen und an klare Kriterien zu binden:

-         Bindung an die Normen des Völkerrechts und der Menschenrechte, VN-Mandat

-         Wahrnehmung kollektiver Sicherheitsinteressen, nicht von partikularen Interessen

-         Vorrang und Ausschöpfung nichtmilitärischer Krisenbewältigung

-         Auftragsklarheit und –begrenzung, keine Blankoscheck

-         Priorität des euroatlantischen Raumes

-         Einbindung in ein aussichtsreiches politisches Konzept

-         Ausreichende personelle und materielle Fähigkeiten, verantwortbare Risiken und Kosten.

Diese Kriterien ziehen eine klare Trennungslinie zu einem – in Vergangenheit und Gegenwart reichlich praktizierten – machtpolitischen Interventionismus einerseits und einem potentiell schrankenlosen „humanitären Interventionismus“ sowie einem „ewigen“ Anti-Terror-Krieg andererseits.

Von zentraler Bedeutung ist der Parlamentsvorbehalt. Er ist nicht nur verfassungsrechtlich vorgeschrieben, sondern auch politisch überaus sinnvoll. Er gewährleistete durch intensive parlamentarische Beratung eine breite Konsensbildung und fördert eine militärische Zurückhaltung. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen aber einen Bedarf, die Parlamentsbeteiligung klarer und wirksamer zu gestalten und zugleich die multilaterale Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik zu verbessern, ohne dabei den Parlamentsvorbehalt aufzuweichen. Regelungsbedarf besteht insbesondere bei der Vorbereitung von Einsätzen, bei Einsätzen von geringerer Bedeutung und Einsätzen mit Geheimhaltungsbedarf, bei Befristungen und Verlängerungen. Der bisherige Standard der konstitutiven Mitwirkung des Parlaments ist zu wahren. Über die regelmäßigen Unterrichtungen des Parlaments hinaus sollte eine Evaluation von Auslandseinsätzen eingeführt werden. Da es um zentrale Rechte des Parlaments geht, soll die Initiative für ein Parlamentsbeteiligungs- oder Parlamentsvorbehaltsgesetz aus den Fraktionen kommen. Grüne Eckpunkte hierfür sind in Arbeit.